Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blüten, und man möchte zum Maienkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben und alle seine Nahrung darin finden zu können.
Johann Wolfgang von Goethe
(Aus: Die Leiden des jungen Werther)
In diesem merkwürdigen Frühling beschäftigt mich ein Bild, das ich nicht aus dem Kopf bekomme, aus einer Zeitungsmeldung, die dieser Jahreszeit einmal mehr zu große Trockenheit bescheinigte: Die Hand eines Landwirts, der sich die trockene Erde seines Ackers durch die Finger rinnen – nein: eher stauben – lässt. Sonst zeigt es: Nichts! Vielmehr: Eben jenen staubtrockenen, graubraunen Acker bis zum Horizont. Keinen Baum, keinen Strauch, nicht mal einen Grashalm. Nichts. Wüste. Sahara? Nein. Laut Bildunterschrift: Niederbayern. Und ich frage mich, wie jemand sich nicht fragen kann, was wohl diese intensive Form der Landwirtschaft sowie das gänzliche Fehlen von Landschaft, das uns als normal erscheinen soll, damit zu tun haben könnte.
Klagen wir also um Verlorenes. Stöhnen über Wassermangel. Betrauern das Insektensterben und das Verschwinden der Singvögel.
Vielleicht fragen wir mal die Kinder. Vor zwei Jahren, als der Star, eine Vogelart, die besonders auf strukturreiche Landschaften angewiesen ist, zum Vogel des Jahres erklärt wurde, zeigte ich Schulkindern zwei Fotos. Eines unterschied sich wenig von dem oben beschriebenen Zeitungsbild, das andere zeigte eine Komposition von Wald, Wiesen, Streuobstbäumen, Holzinseln und Hecken. Felder gab es natürlich auch, diese jedoch vielfältig bebaut mit blühenden Randstreifen. Und menschliche Siedlungen, umgeben von viel Grün. Die Frage war, wo sich ein Vogel wie der Star denn mehr wohlfühlen könnte. Ratet, welches Bild die Kinder wählten! Wie? Ach so, das sind Kinder? Die wissen das halt nicht besser! Das ist Romantik. Können wir uns nicht leisten. Wir brauchen Ertrag! Um jeden Preis. Um wirklich jeden? Und deshalb zerstören wir das Ökosystem, unsere Lebensgrundlage? Sind wir eigentlich noch zu retten?
Aber ich wollte über etwas schreiben, das eben um solcher Ertragswirtschaft Willen während vieler Jahrzehnte als Störfaktor gesehen und unter dem klingenden Namen „Flurbereinigung“ vielfach systematisch zerstört wurde: Ich wollte über Hecken schreiben. Hecken, die in der Kindheit meine Wege säumten und von denen heute nur noch wenige übrig sind. Vom Frühlingsklang vielfältigen Summens in den herb-süß duftenden, schneeweißen Blüten des Schlehdorns, vom Herbstgeschmack seiner schwarzblauen Früchte, der von Abschied kündet. Von Heckenrosen, die zartrosa den Sommer ankündigen, von ihren rotleuchtenden Hagebutten, die uns mit Vitaminen für den Winter versorgen. Von den weißen Blütenschirmen des Holunders im frühen, seinen leicht bitteren Beeren im späten Sommer. Vom Weißdorn in Maigrün und Weiß im späten Frühjahr und den kräftigen Rottönen seiner mehligen Früchte im September. Von Elsbeere, Vogelkirsche, Brombeere und Eberesche. Traumtänzerin, ich. Die ich Bäume umarme, in Blumenwiesen schwelge, wo diese denn noch Wiesen sein dürfen, Schmetterlingen hinterherlaufe…
Über Bäume und Wälder wird derzeit – glücklicherweise! – wieder viel geschrieben, über die Bedeutung von Streuobstwiesen und Wildblumen zunehmend auch. Aber: Hecken? Im letzten Herbst erschien nun auch hierzu ein bezauberndes Buch, sozusagen zur rechten Zeit.
Rudi Beiser, der sich seit vielen Jahren mit Wildpflanzen und Heilkräutern beschäftigt, hat mit „Geheimnisse der Hecken“ den lange viel zu wenig beachteten Gehölzen einen wunderschönen Bildband gewidmet. Neben ausführlichen Erläuterungen über deren ökologische Bedeutung gerade für Artenvielfalt bei Insekten und Vögeln, widmet er sich ihrer Geschichte als Teil unserer Kulturlandschaft seit der Steinzeit, erzählt von Brauchtum, Mythen und mancherlei Aberglauben. Darüber hinaus beschreibt er vielfältige Möglichkeiten der Verwendung von Knospen, Blüten, Blättern und Beeren der verschiedenen Heckengewächse zu Heilzwecken und für die Küche.
Je 23 Heckenarten von Berberitze bis Weißdorn werden in liebevollen Einzelporträts vorgestellt und lassen sie uns mit ganz neuen Augen ansehen. Einzig die heckenbildenden Baumarten Hainbuche und Feldahorn, die ich sehr schätze, habe ich darunter ein wenig vermisst. Dafür fand ich viele geliebte Arten wieder, lernte weniger vertraute zu bestimmen und konnte viele neue Erkenntnisse sammeln.
Im Weiteren der Wortbedeutung „Hecke“ nachgehen – von altdeutsch „hegga“, was Einhegen, Umzäunen bedeutet, also mit Schutz zu tun hat. Interessantes erfahren über ursprüngliche – meist weibliche – Schutzgottheiten, die in bestimmten Heckensträuchern ihren Sitz hatten und die bezeichnenderweise mit der Ausbreitung des Christentums im besten Fall in Marienlegenden verwandelt und im schlimmsten zu Hexen umgedeutet wurden.
Nicht zuletzt will das Buch einen Anreiz bieten, sich Heckensträucher in den eigenen Garten zu holen und so für Insekten und Vögel ökologische Nischen zu schaffen. Dass sich solches auszahlt, lässt sich am Garten meiner Mama beobachten, ein Vogelparadies, über welches ich hier schon an früherer Stelle schrieb. Statt eines getrimmten Ziergartens findet sich dort viel Naturwiese, auf der alles wachsen darf, was da blühen und gedeihen will, umgeben von hohen Bäumen und umhegt von Hasel, Essigrose, Pfaffenhütchen, Feldahorn und Holunder, die Vögeln im Frühling und Sommer zahlreiche Nistmöglichkeiten und im Herbst und Winter reichlich Nahrung bieten.
Rudi Beiser:
Geheimnisse der Hecken
Heilkraft, Mythen und Kulturgeschichte unserer Sträucher
Stuttgart 2019 (Ulmer)
ISBN 978-3-8186-0726-5
€ 29,95
Überall im Buchhandel
Ich habe diverse Hecken in diesen Tagen wieder bewusst aufgesucht, mit allen Sinnen auf Empfang ausgerichtet. Wurde mit Vogelgesang und Hummelgesumm empfangen, tauchte ein in frische Frühlingsfarben, schwelgte im Duft von Blüten. Viele Hecken in meiner Umgebung sind inzwischen Teil eines Landschaftsschutzgebiets, das lässt für sie hoffen. Sie säumen oft Wege oberhalb von Weinbergen, hinter ihnen liegt Mischwald, nicht selten sich selbst überlassener Bannwald.
Auch bei einzelnen Winzern lässt sich ein Umdenken beobachten: Blühende Stauden und Gräser dürfen zwischen Rebzeilen stehen, an deren Enden sich immer öfter Rosenstöcke oder andere Blumenpflanzungen finden. Hier bietet sich Bienen reichlich Nahrung, Schwebfliegen und Falter kehren zurück, Vögel wie der Stieglitz, die auf Sämereien angewiesen sind, finden sich wieder ein. Es geht also manches! Aber es braucht Wertschätzung und Unterstützung. Wer der Natur etwas zurückgibt, darf davon keine Nachteile haben. Wir alle brauchen ein neues Bewusstsein dafür, dass der Erhalt unserer Natur und damit unseres Planeten alleroberste Priorität hat! Denn mit allem Geld dieser Welt können wir uns keinen neuen kaufen, wenn wir diesen für uns einzigen zerstört haben.
Andererseits werden wir nur freiwillig schützen, was wir lieben. Nicht jeder Mensch hatte das Glück, Liebe zur Natur in der Kindheit nahegebracht zu bekommen und diese wiederum seinen Kindern weitergeben zu können. Als Ausrede zählt dies nicht. Lieben können wir lernen, dafür ist es nie zu spät! Bücher wie das hier Vorgestellte können dazu einen unschätzbaren Beitrag leisten.
© Bettina Johl